Patricia Minuchin
* 1924 † 19.9.2015
Patricia Minuchin war eine beeindruckende Frau in ihrer Ruhe und tiefen Energie. Ohne sie wäre Familientherapie um viele Aspekte ärmer. Während in den Anfängen der Familientherapie Familien eher in ihren vermeintlichen "Abweichungen" betrachtet wurden, verwies sie als Entwicklungspsychologin auf die Normalität von Entwicklungsphasen jeder Familie. Ihr Mann, Salvador Minuchin, griff diese grundsätzlichen Überlegungen auf und integrierte sie in sein Konzept der "strukturellen Familientherapie". Während vorher das Feld den Fokus auf die "Un-Normalität" mancher Familien setzte, gelang es ihr, die Aufmerksamkeit auf die Normalität der Lebensphasen, in denen sich sowohl einzelne Familienmitglieder als auch die Familie selbst befinden, zu lenken.
Sie begann als Entwicklungspsychologin und trug durch ihre Forschung am Bank Street College, New York (vorher an Tufts University), erheblich dazu bei, dass sich darauf aufbauend Programme entwickelten wie "Headstart". Ihre Forschungsergebnisse bildeten die Grundlage für weitere enwicklungspsychologische Forschungsansätze über Kinder und ihre Situation im Kontext von Familie, Schule sowieder Einfluß von Armut, Fremdplatzierung und familialer Disorganisation. Ihr viel beachteter Aufsatz (1985) zu "Child Development and Provocations from the Field of Family Therapy" trug erheblich dazu bei, eine Brücke zwischen Individuumsbezogenen und relationalen Betrachtungen zu bauen und gleichzeitig stimulierend auf Systemtheorie und Entwicklungspsychologie einzuwirken.
Ich habe sie als eine sehr unterstützende und vielseitig interessierte Hochschullehrerin während meines Studiums an der Temple University 1977/1978 kennengelernt. In dem Department für Group Counseling and Organizational Consulting brachte sie uns Studenten eine Welt der Forschung von Gruppenprozessen und Gruppenberatungen nahe, die uns alle inspirierte. Sie gab ihre Hochschullehrtätigkeit auf, um mit ihrem Mann und anderen "Family Studies" (später umbenannt in "Minuchin Center") in New York zu gründen. Patricia Minuchin begleitete nicht nur ihren "berühmten" Mann auf Kongresse weltweit, sie war auch selbst eine gefragte Referentin (u.a. in Berlin 1991 und 1995). Sie war dabei sehr daran interessiert, den Wandel von Institutionen wie den Child Protection Services (vergleichbar mit Allgemeinen Sozialen Dienst der Jugendämter) oder den Foster Care Agencies (Pflegekinderwesen) hin zu familienbezogenen Institutionen zu forcieren.
In Deutschland ist sie eher als die Frau von Salvador Minuchin "erkannt" worden, jedoch hat sie gerade in dem gemeinsam mit ihrem Mann und Jorge Colapinto veröffentlichten Buch "Working with Families of the Poor" (Verstrickt im sozialen Netz, 2000, Carl-Auer Verlag) zu vielen grundlegenden Ideen beitragen.
Ich habe sie sehr für ihre Wärme und Klarheit bewundert, sie hatte eine ehrliche und zugewandte Art der Wertschätzung, die vielen Frauen im Feld eine wichtige Unterstützung darstellte. Ihr Witz, Intelligenz sowie Geradlinigkeit sind für viele, vor allem Frauen, ein Vermächtnis. Sie ermutigte Frauen ihre Ideen zu publizieren, sich Gehör zu verschaffen und sich einzumischen. Sie und ihr Mann waren mir persönlich immer wieder wichtige Unterstützer und ihre Frage: "What is up in your political life" war von Interesse und dem gemeinsamen Verständnis um die Notwendigkeit, sich politisch einzumischen gekennzeichnet.
Beide waren ein besonderes Paar, sie waren neben den Boscolos die einzigen im Feld der berühmten Familientherapeuten, die als Ehepaar über so viele Jahre (64 Jahre !) zusammen ein Paar waren. Ich war fasziniert, wie sie, als in vieler Hinsicht typische New Yorkerin und ihr Mann als Latino sich als Paar stets in Respekt den Unterschied des Anderen ehren konnten. So werde ich nie vergessen, wie sie sich gegenseitig aufzogen, dass er es weiterhin bevorzugte Stofftaschentücher zu benutzen, während sie sich mit diesen aus hygenischen Gründen nicht anfreunden konnte und Papiertaschentücher bevorzugte. Salvador Minuchin beschreibt in dem Buch "Family Healing" (Familie - Die Kraft der positiven Bindung, 1993) in beeindruckender Weise ihr Werden als Paar und Familie. Salvador Minuchins Berühmtheit hat viele nicht realisieren lassen, welchen wichtigen Einfluß Patricia Minuchin auf seine Arbeit hatte. Es schmerzt zu erleben, wie sehr er sie vermisst. Er sagte über ihren Tod, dass es eigentlich nicht die Vereinbarung war, dass sie zuerst gehen würde. Viele, wie gesagt, vor allem Frauen, vermissen sie in ihrer Unterstützung, Zugewandtheit und Großzügigkeit. Sie wurde 91 Jahre alt.